Ein Wort noch über die Lernfähigkeit des Biens und dessen Nutzung bei der Varroatoleranzzüchtung.
Um eine erfolgreiche Abwehr der Varroamilben genetisch zu verankern, braucht es womöglich Jahrhunderte. Solange kann keine Spezies warten, bis sie sich an einen neuen Feind angepasst hat. Deshalb erfand die Natur einen schnelleren Weg, nämlich den des Lernens. Gelerntes Verhalten ist solches, das genetisch nicht verankert ist. Der Bien kann eine erfolgreiche Varroaabwehr lernen, sie praktizieren und im Laufe der nächsten Jahrhunderte genetisch verankern.
28.4.10: Als Beispiel möge die Brutkurve dienen. Der Bien hat in jahrhundertelanger Anpassung an das Klima und die Trachtverhältnisse ihre Vermehrungsrate optimiert. Diese Vermehrungsrate kann als Brutkurve graphisch dargestellt werden. Der Bien hat genetisch bedingt etwa zur Sommersonnenwende ihr Brutmaximum, aber er kann durch Lernen kurzfristig dieses Maximum vor- oder nachverlegen, soweit ein breites genetisches Spektrum es zulässt. Ein früherer oder späterer Höhepunkt der Brutkurve sind durchaus allesamt genetisch verankert, aber: Welche Programmierung zum Zuge kommt, bestimmt der Lerneffekt.
Wie aber lernt die Biene die Varroaabwehr? Um es gleich vorneweg zu sagen: Nicht die Biene als Individuum lernt, auch nicht die Königin als Einzeltier! Sondern: Das komplette Volk lernt! Aus diesem Grund ist es ein Fehler, eine varroatolerante Biene züchten zu wollen, indem man Königinnen züchtet und dann in fremde Völker einweiselt in der Hoffnung, die Königin möge das angezüchtete "Wissen" genetisch an die Arbeiterinnen, die die befallenen Larven ausräumen sollen, weitervererben. So funktioniert das nicht!
Man muss sich das Lernen des Biens folgendermaßen vorstellen: Es lernt das komplette Volk als Ganzes. Königin, Drohnen und Arbeiterinnen müssen deshalb über mehrere Jahre zusammenbleiben. Sehr wünschenswert wäre es, die Weisel nie auszutauschen, sondern auf das sogenannte Stille Umweiseln des Biens zu vertrauen. Auch das Drohnenwabenschneiden sollte unterbleiben, da es die innere Harmonie des Volkes zerstört. Die Bienen sind genetisch derart gestaltet, dass sie instinktiv (also genetisch bedingt) stets bestrebt sind, eine innere Volksharmonie herzustellen und aufrecht zu erhalten. Die Volksharmonie ist dabei auf die Jahreszeit, das Wetter und die Tracht (und mehr) abgestimmt. Im Winter gehört es zur Harmonie, keine Brut zu pflegen, sondern die Wintertraube eng zu halten und das Problem des Futterabrisses zu meistern. Ab Januar ist es Teil der Harmonie, ein erstes kleines Brutfeld anzulegen, etwas später gehört der Reinigungsflug dazu, dann die Sammelflüge, die Ausweitung der Brutfelder, die Schwarmbildung, die Drohnenschlacht, dann die Erzeugung der Winterbienen usw.. Mit anderen Worten: die Innere Harmonie eines Volkes bleibt nie immer dasselbe Verhalten oder derselbe Zustand. Was Harmonie ist, ändert sich im Laufe der Jahreszeiten.
Damit der Bien sinnvoll lernt, muss immer das ganze Volk anwesend sein. Ohne Drohnen im Juni ist die Harmonie eines Volkes ohnehin stark gestört. Der Bien kann so keine Varroaabwehr lernen, da er ja unbedingt Drohnen produzieren muss. Erst wenn alle anderen Voraussetzungen einer jahreszeitlich geprägten Harmonie gegeben sind, nimmt der Bien sozusagen das Leiden der Varroose deutlich wahr und variiert sein Verhalten entsprechend seines genetischen Handlungsspektrums, um die lästigen Parasiten loszuwerden. Das Spektrum umfasst sämtliche genetischen Verhaltensweisen, die dem Bien möglich sind. Dazu zählt beispielsweise die Putzstarre, die eine Biene einnimmt, wenn sie von ihren Schwestern gesäubert werden will. Dazu gehört der Verwendung der Beißwerkzeuge, und das Verhalten des Zellenleerräumens und des Putzens der Beute. All diese Handlungen werden solange neu kombiniert, bis der Bien einen neuen komplexen Handlungsablauf mit dem Ergebnis, dass die Milben getötet und aus dem Bienenstock entfernt sind, gefunden hat. Dieser Handlungsablauf ist erlernt und (noch) nicht genetisch verankert. Der Handlungsablauf wird mittels genetischer Schalter, die bestimmte DNS-Abschnitte aktivieren oder deaktivieren, determiniert - und an nachfolgende Generationen weitergegeben, aber nur, wenn die Völker nicht ständig auseinandergerissen werden.
Also: Nicht die Einzelbiene lernt es, sich von der Milbe zu befreien, sondern: Die Einzelbiene lernt es in der Umgebung ihres ansonsten in Harmonie lebenden Volkes, sich von der Milbe zu befreien. Nimmt die Harmonie im Volk zu, wird das neu erlernte Verhalten an nachfolgende Generationen weitergegeben und im Verlaufe von Jahrhunderten genetisch fest verankert.
Für eine Toleranzbelegstelle hat dies folgende Konsequenzen:
Es werden dort so viele Völker aufgestellt, wie es die örtlichen Trachtverhältnisse gestatten. Ich fürchte, in Thranenweiher können kaum mehr als als zehn Völker gut untergebracht werden. Diese Völker sollten nach der Schadschwellenmethode behandelt werden, die als imkerliche Unterstützung der natürlichen Entwicklung des Biens zur Varroatoleranz gedacht ist.
Es geht an der Belegstelle nicht um Honigernten, sondern einzig um das Überleben der Völker! Aus diesem Grund können hier radikalere Schritte unternommen werden, als der Imker, der Honig ernten will, im heimischen Garten zu wagen bereit ist. Damit die Bienen nicht ausschließlich durch das Verlassen ihrer Brut (die durch biotechnische Methoden wie Brutwabenentnahme simuliert wird) varroatolerant werden, muss parallel dazu an den stärksten Völkern ausprobiert werden, ob sie auch ohne das simulierte Schwärmen mit den Milben zurechtkommen. Das Abfegen der Bienen in neue Kästen soll wirklich nur als Notbehelf dienen, da die Bienen dadurch nicht gegen die Milben resistent werden. Sie können dadurch die Milben bloß mehr schlecht als recht überleben. Der Normalfall sollte es werden, dass die Bienen nicht schwärmen müssen, sondern dass sie befallene Zellen ausräumen und den Milben die Beine abbeißen oder andere milbenabwehrende Verhalten entwickeln. Man überlaßt also den Bien sich selbst, solange es geht. Erst wenn die (relativ hohe) Schadschwelle überschritten und abzusehen ist, das das Volk es nicht ohne imkerliche Hilfe schafft, wird es in eine neue Beute gefegt oder zB mit Ameisensäure behandelt.
Nach einigen Jahren sollten es die Bienen gelernt haben, mit den Milben so umzugehen, dass der Imker damit leben kann. Der Kreisverband könnte nun dazu übergehen, varroatolerante Völker zu produzieren und zu verkaufen. Jedes Belegstellenvolk würde mittels Enghalten und Bogenschnitt - beispielsweise - dazu angeregt, viele Weiselzellen anzulegen. Kurz vor dem Schlupf würden die Zellen samt einiger hundert Begleitbienen in Mini-Kästen umgesetzt werden. Diese Minikästen werden auf der Belegstelle verteilt und man wartet ab, bis alle Weiseln befruchtet und in Eilage gekommen sind. Haben die Völker eine gewisse Stärke erlangt, können sie als varroatolerante Hunsrücker Landbienen verkauft werden.
Den Imkern der Umgebung müsste erklärt werden, dass diese Belegstellenvölker es nur gelernt haben, mit der Milbe klarzukommen. Aus diesem Grund sollten die Weiseln im Volk belassen werden, bis die Bienen sie selbst still umweiseln. Auch das Drohenschneiden sollte entfallen. Die Imker vermehren dann dieses Volk immer als Ganzes, also immer durch Bildung kompletter Brutableger samt Weiselzelle, damit das erlernte Verhalten nicht verlorengeht, sondern an die nachfolgende Generation weitergegeben wird.
04.09.2011: Hier ein LINK, der die Erforschung des Einflusses des gelerntem Verhaltens auf das Erbgut zeigt: http://www.spiegel.de/spiegelwissen/0,1 ... 36,00.html
Zitat: "Die Gene sind nicht an allem schuld: Die Umwelt, also auch die Erziehung, entscheidet, welche Anlagen sich entfalten. Die frühkindliche Prägung wiederum hinterlässt Spuren im menschlichen Erbgut."