Re: BASISZUCHT
von hanjoheyer » Fr 9. Jul 2010, 08:30
Der Bien ist ein unglaublich komplexes Wesen, das noch längst nicht halbwegs erforscht ist, zumal die naturwissenschaftliche Methode gar nicht die Erforschung lebender Systeme erlaubt. Wir müssen konstatieren, dass selbst die Bienenwissenschaft nur sehr wenig weiß. Nun haben wir es in der Regel jedoch mit Laien zu tun, die nur über ein rudimentäres Wissen des Wenigen verfügen, was der Wissenschaftler weiß, bzw zu wissen glaubt. Leider sind die meisten Imker nicht so weise wie Sokrates, der sagte: "Ich weiß, dass ich nichts weiß!" Die meisten Imker sind der Überzeugung, genug zu wissen, um kompetent ins Genom dies Biens eingreifen zu können. Sie treffen Zuchtwahl am Maßstab ihres rudimentären, oft falschen Wissens. Was der Bien in zig-Millionen Jahren erworben hat, wird in wenigen Jahren bedenkenlos verändert, mit anderen Worten: verkrüppelt.
Der moderne Mensch lebt in einem sehr verarmten, rein materialistischen Weltmodell, das er zudem kurzfristig gewinnmaximierend verzerrt erlebt. Zu langfristigem Denken ist der moderne Mensch nicht mehr in der Lage. Der Imker will jetzt sofort seine Edelkönigin, weil er statt 30 im kommenden Jahr 30,5 kg Honig ernten will. Dafür gibt er gern 50 Euro aus. Meine Gratulation für das Geschäft. Dass er dabei die langfristige Akklimatisation seiner Bienen zerstört, merkt er nicht, auch dann nicht, wenn 10 Jahre später nach einem harten Winter sein Bienenstand ausgestorben ist.
Wolfgang Golz, ein guter Bienenbeobachter, hatte sich einmal Buckfastvölker zugelegt. Sie brachten einige Jahre mehr Honig ein, als seine Landbienen. Doch ungünstige Winter rafften seinen Bestand nach und nach dahin, sodass er nach zehn Jahren keine Buckys mehr hatte. Die Bienen waren nicht akklimatisiert; die Buckys waren ein Reinfall. So schrieb er seine Erfahrungen in seine Broschüre. Wenn man sich diese Broschüre heute kauft, lesen wir im Vorwort eines modernen Basiszüchters, dass Golz ja in allem Recht hatte, nur nicht bei seiner Beurteilung der Buckfastbiene.
Ich erlebe an meinen eigenen Bienenständen, dass jedes Volk individuell ist. Jedes hat seine Eigenheiten. Es gibt Spätentwickler, die in einem Jahr kaum Honig bringen, aber im nächsten Jahr, in dem der Frühling auf sich warten lässt, eine Rekordernte eingefahren hätten, wenn der Imker die Königin nicht schon im Vorjahr voller Ungeduld abgedrückt hätte. Ein anderes Volk überwintert schwach und wird ebenfalls aufgelöst. So entgeht dem Imker womöglich die Erfahrung, dass er ein Volk mit dem unbezahlbaren Genom ausgelöscht hat, das ein Überleben des Volkes ohne Vorroabehandlung ermöglicht hätte.
Ich hatte ein schwaches Volk. Ein Imkerkollege riet mir, es ein paar Meter zu verstellen, damit sich die Sammelbienen in anderen Völkern einbetteln und diese verstärken. Ich tat wie geraten und schwächte das Völkchen noch mehr. Dann wurde mir geraten, das Volk ganz aufzulösen, weil es nur kosten, aber nichts einbringen würde. Ich tat nicht so! Im darauf folgenden Jahr war dieses Volk eines meiner besten. Seit solchen Erlebnissen wird mir immer etwas übel, wenn ich Imker reden höre, dass sie schlechte Völker aufgelöst hätten, weil ich dann sofort daran denken muss, welche unentdeckten, positive, wichtige Eigenschaften mit diesem Volk womöglich für immer verschwunden sind.
Ich habe bisher noch gar nichts gezüchtet. Bei mir züchtet der Winter, der immer wieder ein Volk dahinrafft. Ich hatte bisher einen Stecher, den ich umweiseln wollte, doch das Volk ist mir zuvorgekommen und ist geschwärmt. Mal sehen, wie die Nachkommen der neuen Königin werden...